warum über anti-palästinensischen rassismus sprechen?

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Warum über anti-palästinensischen Rassismus sprechen?

 

 

Wir wollen hier Stellung beziehen zu Vorwürfen gegen uns und unsere Rede über antipalästinensischen Rassismus, die wir auf der Gedenkveranstaltung „6 Monate Hanau – Vereint gegen Rassismus“ am 22.08.2020 in Münster gehalten haben.

 

Zunächst wollen wir vor allem eines klarstellen: Wir sind überzeugt davon, dass es gerade bei einer Veranstaltung im Gedenken an Menschen, die wieder durch ein rassistisches Attentat ermordet wurden, wichtig ist, von Rassismus betroffenen Menschen zuzuhören. Neben dem Gedenken an die Ermordeten von Hanau muss es auch ein Teil antirassistischer Praxis sein, erlebten Rassismus explizit zum Thema zu machen und darauf hin zu arbeiten, dass sich solche Hassverbrechen nicht wiederholen. Genau mit diesen Zielen haben wir uns am 22.08.2020 an die Seite des Veranstaltenden Odak Kulturzentrum gestellt und unsere Solidarität kundgetan.

 

Gruppen wie Eklat Münster, die sich selbst als antirassistisch bezeichnen, werden, sobald Palästinenser*innen über ihre Rassismuserfahrungen in Deutschland und in Münster berichten, zu Täter*innen. Denn bei dem Thema des antipalästinensischen Rassismus hört ihre Solidarität auf. Das ist aus der aktuellsten Stellungnahme zu entnehmen. In ihrem unreflektierten und im besten Fall von großer Kenntnislosigkeit, im schlimmsten Fall jedoch von kalkulierter Ignoranz zeugenden Text, tragen sie aggressiv dazu bei, palästinensische Stimmen zu marginalisieren. Der Tenor der Kritik fordert offen: Wir als Palästinenser*innen sollen nicht über unsere Erfahrungen mit Rassismus sprechen.

 

Unsere Stimmen, unsere Erfahrungen und Betroffenenperspektiven als rassifizierte Personen seien unerheblich im politischen Kampf, unsere rassismuskritischen Positionierungen ein Spiegelbild regressiver postkolonialer Theorien. Das behauptete Eklat Münster bereits  in dem früheren Blogbeitrag "Day In – Day out" vom 24.07.2020, in dem sie sich von Rassismuskritik distanzierten.

 

Es wird uns Fixierung auf den israelischen Staat vorgeworfen. Aber wir haben uns nicht ausgesucht, dass wir, unsere Freund*innen und Familien durch diesen Staat diskriminiert, unterdrückt und ermordet werden. Wir haben uns nicht ausgesucht, dass Deutschland die imperialistische und koloniale Allianz mit diesem Staat zur Staatsräson erhoben hat und ebenso wenig, dass die israelsolidarische Linke diese Staatsräson unkritisch teilt und sich an der Diskriminierung der Palästinenser*innen beteiligt. Unsere Rassismuserfahrungen als Palästinenser*innen in Deutschland sind auch immer mit diesem Staat verbunden. Wir sollen über unsere Erfahrungen sprechen und über die Ursachen schweigen? Sollen unsere kurdischen Genoss*innen über ihre Erfahrungen sprechen ohne den türkischen Staat beim Namen zu nennen und die Allianzen, die Deutschland mit diesem Staat bildet? Die Gruppe Eklat Münster schreibt von Staatskritik und merkt nicht, dass sie diejenige ist, die sich bei all dem Gerede von Materialismus und Linksradikalität bedingungslos an die Seite eines rassistischen Staates stellt und gleichzeitig die Linie der deutschen Regierung verteidigt. Staatskritik ist konsequent oder sie ist nicht. Wir lehnen jeden einzelnen Staat dieser Welt ab, ohne Ausnahme. Wir kämpfen für emanzipatorische und demokratische Gesellschaften, die sich von unten aufbauen und die den kapitalistischen Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen die Wurzeln ausreißen.  

 

Die Bevormundung der diskriminierten und unterdrückten Palästinenser*innen, durch die ignorante Behauptung sie seien „Erpressungsmittel“, also Geisel der Politik anderer arabischer Staaten, ist in diesem Fall ein manipulative und instrumentalisierendes Verhalten, welches von der eigentlichen Problematik ablenkt und den Palästinenser*innen auf einer kolonial-überheblichen Art vorzuschreiben sucht, wen sie als Ursache ihrer jahrzehntelangen Unterdrückung verantwortlich zu machen hätten.

 

Zu behaupten, dass aus unserer Sicht das "oberste Anliegen einer antirassistischen Bewegung der Kampf gegen Israel" sei, ist eine Lüge und in keiner Weise unserer Rede zu entnehmen. Wir verstehen uns als Teil einer antirassistischen Bewegung, die sich die Bekämpfung von (neo-)kolonialen und rassistischen Strukturen zum Ziel setzt und eine Selbstorganisierung rassifizierter Menschen vorantreibt, ihren zahlreichen Stimmen und Erfahrungen einen Raum gibt und genau dadurch auf die Systematik des Rassismus aufmerksam macht. Deshalb ist der Kampf gegen anti-palästinensischen Rassismus und für die Gleichberechtigung der Palästinenser*innen nicht das oberste Anliegen der weltweiten antirassistischen Bewegung, sondern ein integraler Bestandteil derselben.

 

Diese Hetze und diese Verleumdungen, die auch dazu dienen sollen, uns in der münsteraner Aktivist*innen-Landschaft zu isolieren, sind genau das, was das antipalästinensische Klima hierzulande befeuert und salonfähig macht. Sich darüber hinaus zum Stadtgewissen aufzuschwingen und sich anzumaßen, die „emanzipatorischen“ Kräfte in Münster zurechtzuweisen und aufzufordern, sich von uns zu distanzieren, ist, was wir "pietätlos" nennen.  Wir gehören zu einer Gruppe rassifizierter Menschen, die tagtäglich unter systematischen Rassismus leiden. Von einer Gruppe, die Rassismus nicht aus persönlichen Erfahrungen kennt, erklärt zu bekommen, wir instrumentalisierten das Leid der Opfer von Hanau, weil wir über unsere eigenen Erfahrungen sprechen, ist absurd und traurig. Genau so wird Rassismus reproduziert. Und genau so funktioniert rassistisches „Silencing“. 

 

Aus diesen Gründen fordern wir Euch dazu auf Euch mit uns zu solidarisieren. Unterstützt uns, indem ihr unsere Stellungnahme teilt. Lassen wir uns nicht verdrängen aus der Stadtöffentlichkeit, nicht verdrängen von antirassistischen Demos und Kämpfen. Denn genau dort gehören wir hin! 

 

Da sich die Stellungnahmen und Kommentare vor allem durch offensichtliche Falschbehauptungen auszeichnen, teilen wir zum Schluss gerne erneut den Wortlaut unserer Rede von der Gedenkveranstaltung und bekräftigen lauthals: “Palestine will not be silenced!”